Mit den Geschichten von »Plastic Dog«, ganz konventionell mit dem digitalen Stift Punkt für Punkt gepixelt für eine 160x160 Pixelfläche in einer bisher unbekannten Art elektronischer comic strips für PALM 0S Computer, zum downloaden, lesen, beamen und Spaßhaben, hat Henning Wagenbreth der Welt eine Erfindung und mit acht Stück pro Serie, um genau zu sein, eine höchst seltsame Verkettung von Traumbruchstücke beschert.
Aber des Künstlers Erfindereifer hat ihn in noch fernere Welten gebeamt: anderes Bildpersonal verdankt seine Existenz einem »automated illustration system«, d.h. gezeichneten Vektoren, die eingescannt und per Schriftprogramm verarbeitet wurden, damit sie anschließend nach einem Baukastenprinzip figurativ vielfach variiert werden können.
So statisch wie die Figuren aufgefaßt und so wie ihre körperlichen Bestandteile addiert wurden, verraten sie das deutlich typografisch geschulte Auge des Künstlers und sein faible für Computerarbeit. Was freilich der abenteuerlichen Odyssee, die »Plastic Dog« durchmacht, nicht einen Pixel schadet.
Vorläufer dieser quadratischen Bildverstecke für Zukunftssüchtige wie Zukunftsgeschädigte sind kleine Siebdruckbüchlein, in denen den Geschichten vom »Plastic Dog« bereits die Pforten geöffnet wurden ins Phantastische, wo wir auf die Schicksalswege des sich so menschlich bewegenden schwarzen Vierbeiners mit dem klotzigen Roboterkopf und dem poppigen »P« auf der Hundebrust gelotst werden. »Plastig Dog meets Killer Cars« lautet der Titel eines der vielgelobten Minibücher.
Wagenbreth ist ein Typus des die Welt mit offenen Augen betrachtenden Künstlers und hellwachen Beobachters der Zeitereignisse, der, zunächst geprägt durch seine kritische DDR-Perspektive und von Ideen der Verbesserung der Welt durch die Wahrung der Menschenrechte, in den neunziger Jahren, vor allem im Deutschland der Nachwendezeit und mit Blick auf das ehemalige Jugoslawien ernüchternde Erfahrungen über die Wirksamkeit einer Politik der »humanitären Intervention« machen konnte.
Oft ist die Wahl seiner Themen verknüpft mit Fragen nach politischen Machtverhältnissen. Als Wagenbreth im Herbst 1989 sein legendäres Oppositions-Plakat (»Radfahrer haben nichts zu verlieren als ihre Ketten!«) zeichnete, das mittlerweile sogar international als Raubdruck zirkuliert, galt ihm eine (selbst-)ironische Perspektive auf das angestrengte Gutmenschentum in den eigenen Reihen als angemessen.
Seit die Glaubensartikel des Westens einer Übersetzbarkeit in Politik immer offensichtlicher zuwider laufen, hat sich Wagenbreth, wie übrigens eine Vielzahl seiner Generationsgefährten, orientiert auf Minimalformen der Demaskierung offensichtlicher Täterpositionen im Kleinen (»Ost-deutsche Theater-Plakate«) wie im Großen, etwa dem detektivischen Comic-Roman »Das Geheimnis der Insel St. Helena«.
Wie könnte man sich wohl sonst noch verständlich machen als in einer visuellen Gegenteilsprache, die sich artikuliert gegen den Schnee des Vergessens.
Die Heimsuchung seiner zunehmend in der Verblockung erstarrenden Figuren durch die Geistergestalten ihres Unterbewußtseins erfolgt dabei nahezu vollständig in der Manier eines farbig rasanten Expressionismus – laut, schrill und immer im Fast-forward.
Katalogbeitrag zur Ausstellung »Die Lawine von morgen und der Schnee von gestern« Galerie im Körnerpark